Generation der Gründer tritt ab

Berliner Morgenpost

 

1500 Berliner Familienunternehmen finden keinen Nachfolger

 

Dietmar Rogacki führt das traditionsreiche Delikatessengeschäft an der Wilmersdorfer Straße an der Seite seiner Mutter Eva weiter.

Freimuth Hüte, Messer und Bestecke Aug. Nicolai, Modehaus Zenker, Ebbinghaus, Auto Mann, Möbel Tegler, Foto Wegert, Juwelier Axel Sedlatzek, Foto Klinke, Konditorei Senst, Buchhandlung Kiepert, Leuchten Arno – reihenweise schließen Berliner Traditionsgeschäfte, verschwinden einst klangvolle Namen auf Nimmerwiedersehen aus dem Straßenbild oder werden von der übermächtigen Konkurrenz geschluckt. Die Gründe sind vielfältig. Mal brachen Expansionsträume und Mietsteigerungen nach der Wiedervereinigung den Unternehmern finanziell das Genick, mal war der Zeitgeist am Angebot der Fachhändler vorbeigerauscht – und manchmal fehlte es schlicht am geeigneten Nachfolger aus der eigenen Familie. Die Generation der Gründer geht in den Ruhestand, und nur bei jeder zweiten Firma steht der Junior bereit.

“Etwa 14 000 Unternehmen in Berlin werden in den nächsten fünf Jahren übergeben werden”, schätzt Wolf Kempert, Leiter der UNU Gesellschaft für Unternehmensnachfolge und Unternehmensführung mbH in Berlin. Bei etwa 10 000 bis 11 000 Unternehmen werde die Übergabe der Unternehmen planmäßig verlaufen, schätzt der Experte. “Bleiben etwa 3000 Betriebe, bei denen der Firmenchef das Ruder durch unvorhergesehene Ereignisse wie Unfälle, Krankheiten oder Todesfälle vorzeitig aus der Hand geben muss.” Insgesamt fänden etwa elf Prozent, also immerhin 1500 Berliner Unternehmen, in den kommenden fünf Jahren keinen Nachfolger. “Und wir reden hier nicht von jeder kleinen Imbissbude an der Ecke, sondern von Unternehmen mit mindestens 50 000 Euro Umsatz.”. Betroffen von der Stilllegung seien im genannten Zeitraum schätzungsweise 12 000 bis 15 000 Arbeitnehmer, beschreibt Kempert die immensen Auswirkungen des Nachfolger-Problems.

Und dabei schneidet Berlin in der bundesweiten Betrachtung gar nicht mal so schlecht ab. Während im Bundesdurchschnitt 46 Prozent der Betriebe ein Familienmitglied als Nachfolger ausweisen, sind es in Berlin 50 Prozent. In Brandenburg verbleiben sogar 55 Prozent der Betriebe in der Familie.

Doch allen Schließungsmeldungen deutscher Traditionsbetriebe zum Trotz – es gibt sie noch. Wir haben zwei Berliner Familienbetriebe der krisengeschüttelten Einzelhandelsbranche besucht und sie gefragt, wie es ihnen gelungen ist, über Jahrzehnte, Weltkriege, Mauerbau und Wiedervereinigung eingeschlossen, das Firmenerbe zusammenzuhalten.

Beispiel 1: Rogacki, Wilmersdorfer Str. 145/146 1928 gründeten die Großeltern Paul und Lucia Rogacki einen Räucherwarenhandel und legten damit den Grundstock für das heutige Delikatessengeschäft Rogacki an der Wilmersdorfer Straße 145/146. Dietmar Rogacki (50) rückte vor sechs Jahren in die Geschäftsführung auf, an der Seite seiner Mutter Eva (75). “Meine Jugendträume sahen natürlich anders aus”, sagt er. Aber seine Eltern bestanden darauf, dass er eine kaufmännische Ausbildung erhielt. “Ich ging bei Feinkost Müller in München in die Lehre.”

Danach war es Dietmar Rogacki freigestellt, seine eigenen beruflichen Wege zu gehen. “Ich kam nach Berlin zurück und begann als Fotoassistent bei Dorland.” Doch nach wenigen Jahren muss er seine Fotografen-Karriere an den Nagel hängen. Nun zeigt sich, dass die Nachmittage, in denen er als Schüler im Laden aushalf, durchaus ihre Wirkung hatten. 114 Mitarbeiter muss Dietmar Rogacki nun jeden Tag dirigieren, den geschmacklichen Trends auf der Spur bleiben und schnell darauf reagieren. “Vor zwei Jahren haben wir zuletzt umgebaut”, sagt der Geschäftsmann. Die große Pasta-Theke ist die erste große Umbaumaßnahme gewesen, die der Juniorchef zu verantworten hatte.

Während es die Feinkost-Konkurrenz wie Nöthling (Steglitz) oder Rack (Grunewald) reihenweise dahinraffte – gibt es das Rogacki immer noch. “Das haben wir der weisen Voraussicht meines Großvaters zu verdanken”, ist sich Dietmar Rogacki sicher. Denn der hatte 1961 das Grundstück an der Wilmersdorfer Straße gekauft: “So blieben wir von den enormen Mietpreissteigerungen nach der Wiedervereinigung, die viele andere Geschäfte voll getroffen haben, verschont.” Auch die Voraussicht seiner Eltern, die auf eine kaufmännische Lehre bestanden hatten, habe sich ausgezahlt. “Meine zwei Söhne gehen zwar noch zur Schule”, macht er sich bereits Gedanken über seine späteren Nachfolger. “Aber zu Weihnachten müssen sie ganz selbstverständlich hier aushelfen und sich ihre Brötchen verdienen”, sagt er und hofft, dass wenigstens einer von ihnen den Köder schluckt: “Natürlich wäre es schön, wenn es mit Rogacki weiterginge.”

Beispiel 2: Eisen Döring, Kaiserdamm 17 Seit Freitag und noch bis morgen wird am Kaiserdamm 17 mit Musik und Freibier ein denkwürdiges Ereignis gefeiert: 100 Jahre Eisen Döring. Das Jubiläum bedeutet für das Familienunternehmen in dritter Generation “alles, denn ohne den Laden sind wir nichts”, ist sich Inhaber Helmut Döring sicher. Mit seiner Frau Renate (59) und Sohn Frank (37) hält er den Betrieb am Laufen. Die beiden anderen Kinder “sind beruflich gänzlich andere Wege gegangen”. Um so mehr freut es Helmut Döring, dass Sohn Frank in die Funktion des “Junior-Chefs” hineingewachsen ist. Doch ganz loslassen kann “der Alte” noch nicht. Wann die Geschäftsübergabe an den Sohn erfolgen soll, “habe ich mir noch nicht genau überlegt”, sagt der 60-Jährige. Im Moment ist der Sohn noch sein Angestellter. “Irgendwann innerhalb der nächsten fünf Jahre soll er regulärer Geschäftsführer werden.” Dann werde er auch die Inhaberschaft schrittweise auf den Sohn übertragen. “Natürlich möchten wir, dass Eisen Döring als Familienbetrieb weitergeführt wird”, sagt der Senior.

Er ist überzeugt: Das Geschäft gäbe es längst nicht mehr, wenn sein Vater nicht 1966 das Gebäude am Kaiserdamm 17 gekauft hätte. “Die Mieten hätten wir nicht zahlen können.”